Amigo-Affäre und Vetternwirtschaft, bei diesen Begriffen horchte das Münchner Publikum des 38. Mediengespräches auf. Dass der bayerische Ministerpräsident Max Streibl seine Netzwerke zu weit getrieben hatte und daher zurücktreten musste, darüber waren sich die drei Podiumsgäste einig. Doch wie weit dürfen Netzwerke gehen? Bis zu welcher Grenze ist eine gute Zusammenarbeit von Journalisten und Politikern nützlich? Wo beginnt die Korruption? Drei Experten diskutierten über Fragen, die oft tabuisiert werden. Gabriele Hooffacker von der Journalistenakademie in München moderierte das Podiumsgesprächs im BayernForum der Friedrich-Ebert-Stiftung, zu dem mehr als fünfzig Zuhörer erschienen waren.
Markus Rinderspacher, seit sieben Wochen bayerischer Landtagsabgeordneter der SPD, sitzt zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite schon Politiker, auf der anderen noch Journalist beim TV-Sender ProSieben. Seine Tätigkeit beim Fernsehen will er am Ende dieses Jahres aufgeben, um sich ganz auf die Politik zu konzentrieren. Doch der Seitenwechsel ist für den Politologen nicht sehr drastisch. Politiker sind nicht viel anders als Journalisten, ist seine Erfahrung. Sind nicht beide Schaumschläger? fragt er lächelnd in die Runde.
An die Fähigkeit zur Selbstreflexion appelliert auch Frank Überall. In seiner Doktorarbeit hat sich der Politologe mit dem Thema Kölner Klüngel auseinandergesetzt. Menschliche Kooperation sieht Überall differenziert. Der Wahlkölner weiß von der Großzügigkeit in seiner Stadt: In der Kneipe bekommst Du immer ein Kölsch umsonst, nur besteht hier eine große Unverbindlichkeit. Du weißt nie, ob Dir auch beim nächsten Mal wieder ein Kölsch ausgegeben wird. Erst in einer weiteren Stufe, in der ein gewisser Grad an Verbindlichkeit hinzukomme, könne man von Netzwerken sprechen, so Überall. Die Grenze von Netzwerken mit gegenseitiger Verbindlichkeit hin zu Korruption sei jedoch fließend. Diesen Grat zwischen Kooperation und Korruption nicht zum Tabuthema zu erklären, sondern in eine offene Diskussion zu treten, ist die Forderung in Überalls Forschungsarbeit.
Dem Landtagskorrespondenten Roland Englisch, der für die Nürnberger Nachrichten schreibt, ist die Nähe zum Politker Rinderspacher nicht zu viel die beiden sitzen immerhin zum zweiten Mal gemeinsam auf einem Podium. Englisch tritt aber von den drei Experten am vehementesten für die professionelle Distanz von Journalisten zu Politikern ein. Der gebürtige Nürnberger will sich aus jeder Art von Klüngel heraushalten. Das schadet der Politik, so seine Überzeugung. Die Distanz zwischen Journalismus und Politik ist wichtig. Für mich bedeutet das, dass ich über Freunde nicht berichte. Das ist Sache der Kollegen.
Überall, der als Journalist für Funk, Fernsehen und Print arbeitet, gesteht: Ich klüngle ständig. Und habe durchaus Freunde in der Politik. Für die Grenze zur Korruption gebe es keine allgemeingültige wissenschaftliche Festlegung, aber da, wo die Allgemeinheit geschädigt wird, sei sie auf jeden Fall überschritten.
Doch wie ist diese Schädigung festzustellen? Im Fall Horst Seehofer haben sich Journalisten instrumentalisieren lassen, davon ist Rinderspacher überzeugt. Seine politischen Gegner innerhalb der CSU sorgten dafür, dass die Zeitungen über Seehofers turbulentes Privatleben Schlagzeilen schrieben. Wie merkt man aber, dass man als Journalist instrumentalisiert wird? Englisch weiß um diese Gefahr: Ein Grundmisstrauen soll bei Journalisten immer vorhanden sein, denn wo Macht ist, lauert der Klüngel. Auch offensives Eingreifen in die Berichterstattung kennt Englisch: Oft kommt es vor, dass Interviews, die ich autorisieren lasse, umgeschrieben werden, Fragen gestrichen oder sogar neue hinzu erfunden werden. In so einem Fall wird das Interview dann nicht gedruckt.
Jungpolitiker Rinderspacher erlebt die Journalisten jetzt von der anderen Seite. Politiker halten ihr Thema für besonders wichtig, wohingegen die Journalisten davon oftmals weniger überzeugt sind. Als Politiker beklagt er den geringen persönlichen Kontakt zu den Wählern und die große Bedeutung der Medien. Außerdem sieht er die Schnelligkeit der Berichterstattung kritisch: Wer heute zehn Minuten zu spät kommt, wird nicht mehr erwähnt. Die Politiker müssen alles kurz und knapp darstellen. Gerade die älteren unter uns sehen aber die Politik als eine komplexe Angelegenheit.
Was aber wäre die Macht der Legislative wie der Exekutive einerseits und der Medien andererseits, wenn es nicht die Wähler beziehungsweise Leser gäbe? Und so drängte sich die Frage aus dem Publikum geradezu auf: Sind Politik und Journalismus ein geschlossenes System? Was ist mit dem Volk? Für Rinderspacher sind Politik und Journalismus eine Interessensgemeinschaft. Politiker schielen auf Wahlergebnisse, Journalisten auf Leser und Zuschauer. Politiker brauchen Journalisten und Journalisten die Politiker. Englisch dagegen kann nicht verstehen, dass Themen, die für Journalisten nicht attraktiv genug sind, kaum als Tagesordnungspunkte von Politikern aufgenommen werden: Politik wird doch nicht für die Medien gemacht.
Oder doch? Die drei Experten wagen abschließend drei Ausblicke in die Zukunft. Wie wird sich das Verhältnis von Politik und Journalismus in den nächsten Jahren entwickeln? Überall sieht die Zukunft im positiven Klüngel, den er vom negativen klar trennen möchte. Journalismus und Politik sollen sich auf ihre professionelle Rolle besinnen. Rinderspacher hält den gegenwärtigen Trend der Bevölkerung zur Politikignoranz für beängstigend. Der Journalismus wird daher für die Politik immer wichtiger. Englisch denkt, dass sich das Verhältnis nicht wesentlich verändern werde. Die Macht, die Rinderspacher den Journalisten unterstellt, hätte Englisch gerne: Wir schreiben uns die Finger wund über die Klimaentwicklung und die Leute kaufen sich 7er BMWs.
Wir müssen uns ein Stück weit darauf einlassen, dass Politik für die Medien gemacht wird, ist Überall überzeugt. Englisch stimmt dem in einer Hinsicht zu: Wenn mir ein Politiker sagt, da kann ich nichts dazu sagen, da will ich nichts dazu sagen, dann macht er sich verdächtig.
Doch muss es für ihn auch Raum geben für unbequeme Themen, die nicht für eine hohe Auflagenzahl sorgen. Englisch sagt: Wir haben Anweisung der Redaktion, auf die Anrufe, E-Mails oder Briefe unserer Leser einzugehen. Insofern kann sich jeder zu Wort melden.
Von IVL