Rushana heißt nicht Rushana. Geboren und aufgewachsen ist sie in einer Kleinstadt nahe Lublin im Osten von Polen. Vor 16 Jahren ist sie nach Deutschland gekommen. Seitdem arbeitet sie hier als Putzfrau, seit sieben Jahren legal. Mit ihrem in Polen abgeschlossenen Studium konnte sie hier nichts anfangen. Jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss ihres Zweitstudiums.
Eine Million Putzfrauen, Reinigungskräfte, Haushaltshilfen oder Raumpflegerinnen arbeiten in Deutschland. 500.000 von ihnen stammen ursprünglich aus Polen. Sie kamen nach Deutschland, in der Hoffnung auf ein besseres Leben oder einfach nur, weil sie Geld brauchten. Eingereist sind sie legal mit einem Touristenvisum für drei Monate. Wenn sie bleiben wollten, gab es oft nur den Weg in die Schwarzarbeit und Illegalität.
Wenn man bei Google Polen eingibt, kommen als erste Vorschläge Polen-Witze und Polen am Bau. Danach Haushaltshilfen aus Polen. Haushaltshilfe ist ein schöneres Wort für Putzfrau. Darum gehts es hier: die Putzfrau aus Polen.
Rushana ist klein und zierlich, 42 Jahre alt. Blonde Haare, blaue Augen, gepflegte Hände. Sie hat in Polen an einer Kunstschule Abitur gemacht und studiert, wie alle in ihrer Familie. Hauptfach Kunstpädagogik. Ein guter Abschluss, sagt sie.
Das war 1995. Da war die Situation in Polen schwierig. Zwar war seit 1989 der Kommunismus vorbei, aber die Menschen waren noch nicht bereit für ihre Freiheit, sagt Rushana. Es gab keine Staatsgelder für kulturelle Einrichtungen und damit keine Möglichkeit für sie zu arbeiten. Aus ihrem Jahrgang haben drei Absolventen einen Job bekommen. Alle anderen mussten sich irgendwie durchschlagen. In das Geschäft der Eltern einsteigen, heiraten oder eben nach Deutschland. Dort konnte man Geld verdienen.
Eine gute Freundin war schon in Deutschland verheiratet, hat dort als Putzfrau gearbeitet, illegal. In den Semesterferien besuchte Rushana die Freundin und hat sich in einer Wäscherei ihr Geld fürs Studium in Polen verdient.
Nach dem Abschluss wollte sie nicht ewig auf einen Job warten und als die Freundin anrief und sagt, komm nach Deutschland, hier gibt es Arbeit für dich, da ist Rushana drei Tage später in den Bus gestiegen. Ich hatte ja nichts zu verlieren, sagt sie ganz gelassen, und keine großen Ängste.
Die Einreise mit dem Touristenvisum war kein Problem. Alle drei Monate muss man für mindestens einen Tag wieder ausreisen, das ist auch kein Problem, denn die Busse sind billig. Eine Rückfahrkarte Köln - Lublin kostet heute 114 Euro. Vor 16 Jahren wars noch billiger.
Eine Arbeit zu finden war nie ein Problem, die Leute fragen auch nicht, es ist doch jeder froh, wenn die Putzfrau nicht viel kostet.
Bei der Arbeit ist der Putzhandschuh Rushanas ständiger Begleiter
Foto: Madeleine Müller
Eine Wohnung zu finden war schon schwieriger, ohne Aufenthaltsgenehmigung und ohne festen Job. Die Freundinnen mussten oft die Wohnung wechseln. Viel hatten sie eh nicht, sie wussten ja nie, wie lange sie bleiben konnten. Angst vor Kontrollen hatte Rushana nie. Ich habe immer Glück gehabt, sagt sie und lächelt, eine Bekannte von mir ist im Gefängnis gelandet.
Rushana hat im Hotel angefangen, als Zimmermädchen für wenig Geld. Dort waren Mädchen aus der ganzen Welt beschäftigt, keine von ihnen war legal angemeldet. Aber sie hat immer auch die Chancen in ihrem Leben gesehen. Statt zu hadern, dass sie nicht als Kunstlehrerin arbeiten kann, hat sie das Leben studiert. Nebenher zeichnete und malte sie.
Putzhandschuh, Aquarell von Rushana, Din A 4,
Foto: Madeleine Müller
Doch nach einem Jahr konnte sie nicht mehr. Wollte nach Hause, kein Zigeunerleben mehr führen, irgendwo dazu gehören. Die Reise nach Polen bringt nicht die erhoffte Wende. Sie ist zu groß geworden für das Leben in der Kleinstadt dort. Diejenigen, die zu Hause geblieben waren, hatten inzwischen etwas erreicht. Hatten geheiratet und eine Familie gegründet. Rushana hatte das Gefühl, den Anschluss verloren zu haben.
Im Jahr 2000 ist sie nochmal nach Deutschland gefahren. Diesmal mit einem Plan: Ich muss die Sprache lernen, wenn ich etwas erreichen will. Am Goethe-Institut hat sie sechs Monate Abendkurs gemacht, tagsüber geputzt oder im Haushalt geholfen.
Und da war dieser Traum, in Deutschland noch mal zu studieren. Unerreichbar anfangs. Gleich bei ihrem ersten Aufenthalt hat sie die Kunst-Akademie gesucht. Und erkannt, dass der Wunsch, dort zu studieren, nicht realistisch war.
Sie verliebt sich, hofft auf die Heirat und damit die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung als Fahrschein in ein besseres Leben. Aber die Typen hatten kein Interesse, sich zu binden. Ich habe zweimal ein Fiasko erlebt. Die haben mich als Person nicht wert geschätzt.
2004 kommt die Ost-Erweiterung der EU. Dadurch kann Rushana legal in Deutschland leben und arbeiten. Mehr Geld verdient sie dadurch nicht, denn die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt ist auch größer geworden. Sie kommt über die Runden, die Freundin gibt ihr Halt.
Das Jahr 2009 bringt die Wende, wird ihr Glücksjahr. Sie lässt sich nochmal beraten wegen eines Zweitstudiums in Deutschland, macht den nötigen Sprachabschluss und bewirbt sich in einer Hals-über-Kopf-Aktion online für das Kunstgeschichte-Studium. Sie kann sich eine schönere Wohnung leisten und mitten im Umzugschaos kommt die Zulassungsbestätigung. Rushana ist jetzt Studentin!
So sieht der andere Teil ihres Alltags aus
Foto: Madeleine Müller
Das erste Semester war das härteste, erinnert sie sich. Ich hatte nur Kopfschmerzen, vor lauter Stress. Alles musste ich neu lernen, was die deutschen Studenten schon kannten. Bibliografieren, mit dem Computer arbeiten, mich erst mal zurechtfinden im neuen Bachelor-System. Ich konnte keinen fragen, die höheren Semester haben alle den Magisterstudiengang gemacht, keiner kannte sich aus. Und ich bin 20 Jahre älter als meine Kommilitoninnen und habe den Nachteil der Fremdsprache.
Im April 2012 will sie ihren Abschluss machen. Ob sich an ihrer Arbeitssituation etwas ändern wird, weiß sie nicht. Die Uni hier bereitet die Studenten besser aufs Leben vor, die sagen uns schon, dass die Chancen schlecht sind. Aber ich habe wieder nichts zu verlieren, ich probiere es einfach.
Sie hat dem Studium viel zu verdanken, sagt sie. Ich dachte immer, ich bin sehr abhängig von anderen. Seit dem Studium bin ich selbstbewusster geworden. Ich habe keine Schulden, ich habe alles alleine geschafft!