Lange Nacht des Menschenrechts-Films in München
ARRI-Kino 8. Februar 2017 19:00 Uhr

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Podiumsgäste: Kurzporträts und Interviews

Bei der Pressekonferenz zur „Langen Nacht des Menschenrechts-Films im ARRI-Kino München: Preisträgerfilme des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises 2016“ stellten sich Marko Junghänel, Gesamtkoordinator Deutscher Menschenrechts-Filmpreis 2016, Oliver Stiller, Preisträger Deutscher Menschenrechts-Filmpreis 2016, Kategorie Kurzfilm sowie Daniel Tapia Montejo, Mexiko-Referent, Ökumenisches Büro München den Fragen der Journalisten.
 
 Im Folgenden finden Sie Kurzbiografien der Podiumsgäste und Interviews mit ihnen.
 

Marko Junghänel, Gesamtkoordinator Deutscher Menschenrechts-Filmpreis

Biografie

© Deutscher Menschenrechts-Filmpreis

© Deutscher Menschenrechts-Filmpreis

Marko Junghänel studierte Kommunikations- und Zeitungswissenschaft sowie Politische Wissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und absolvierte eine Ausbildung zum PR-Berater. Er war als Berater in verschiedenen PR-Agenturen in Düsseldorf und München tätig sowie Leiter der Kommunikation und Pressesprecher beim Bayerischen Jugendring (Landesjugendring). Seit 2004 ist er freiberuflicher PR-Berater – spezialisiert auf den Bereich Bildung und Medien. Seit Juli 2012 ist er Gesamtkoordinator des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises.


 
 Interview
 

Warum ist eine Auszeichnung wie der Menschenrechts-Filmpreis heute besonders wichtig?

Der Deutsche Menschenrechts-Filmpreis hält das Bewusstsein für die Bedeutung der Menschenrechte fortwährend lebendig – bei Filmemachern, in den Redaktionen der Medien und beim Publikum. Gewinnt ein Film diesen Preis, ist das für die Redaktionen oft Anlass, weiter am Thema dranzubleiben. Die Zuschauer soll der Preis dazu animieren, sich selbst für den Schutz der Menschenrechte zu engagieren. Die Durchsetzung der Menschenrechte wird weltweit schwieriger. Insofern müssen alle Kräfte der Zivilgesellschaft mit Themen und Akteuren dieses Politikbereichs konfrontiert werden. Der Filmpreis ist auch im Hinblick auf die konkrete Umsetzung der Menschenrechtsidee wichtig, denn er stellt Öffentlichkeit her für Menschenrechtsverteidiger oder NGOs. Diese Öffentlichkeit kann die Protagonisten schützen und Veränderungen auslösen. Gute Beispiele dafür sind Preisträgerfilme der letzten Jahre zum Thema Kinderarbeit oder Polizeigewalt.

Welche Länder oder Menschenrechtsverletzungen wurden in den 385 eingereichten Filmen thematisiert? Gab es Trends oder Schwerpunktthemen?

Die eingereichten Filme sind immer thematischer Spiegel der Weltlage. Dort, wo Kriege herrschen, Despoten regieren oder Gesetze zum Schutz der Menschen durch Staaten gebrochen werden, liegen die Ursprünge für eine filmische Umsetzung. In diesem Jahr spielen Fluchtursachen und -verläufe eine zentrale Rolle, aber auch das Ankommen von Geflüchteten in Deutschland und Europa und die Frage, wie wir mit ihnen umgehen. Aber das Spektrum der Themen reicht noch viel weiter: Es beginnt bei moderner Sklaverei – vor allem in Asien, aber auch in den Ländern der EU. Es reicht über die Ungleichbehandlung von Menschen verschiedener sexueller Orientierung, das Verschwindenlassen von Menschen oder über Zeitzeugenfilme aus der jüngeren deutschen Geschichte (NS-Zeit, DDR) bis zu Rüstungsexporten aus Deutschland in Krisenregionen. Interessant ist in diesem Jahr auch, dass sich eine Vielzahl der Filme, ein Viertel etwa, mit Menschenrechtsthemen oder -verletzungen befasst, die sich in Deutschland oder der EU ereignen. Hier wird insbesondere der Umgang mit geflüchteten Menschen thematisiert – Dinge wie Abschiebehaft oder Residenzpflicht.

Anlässlich der zehnten Verleihung des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises wurde die Aktion „Menschenrechte weiterdenken“ ins Leben gerufen. Was hat es damit auf sich?

Es ist ein Versuch, Journalisten und anderen interessierten Menschen weiterführendes Informationsmaterial zu den Themen der prämierten Filme an die Hand zu geben. Der Veranstalterkreis des Deutschen Menschenrechts-Filmpreises aus 18 Organisationen verfügt über eine vielschichtige Expertise zu diesen Themen. Wir wollen dieses Fachwissen, das in Form von Positionspapieren, Stellungnahmen, Pressematerial oder eigenen Recherchen vorliegt, bündeln, und zu den Filmen veröffentlichen. So könnte im Lauf der Zeit eine Art Bibliothek | Mediathek der Menschenrechte entstehen.

Kontakt:
 Marko Junghänel • Hummelsteiner Weg100 • 90459 Nürnberg • Tel. +49 (0)911 4304-221 • Fax +49 (0)911 4304-214 • www.menschenrechts-filmpreis.deinfo@menschenrechts-filmpreis.de
 

Oliver Stiller, Regisseur „Esperanza 43“, Dokumentarfilm von 2015/2016, 20 Minuten

Biografie

© Deutscher Menschenrechts-Filmpreis

© Deutscher Menschenrechts-Filmpreis

Oliver Stiller ist in Dahlenburg in Norddeutschland aufgewachsen, einem kleinen Ort bei Lüneburg. Schon früh begann er mit dem Filmen. Das filmische Handwerk lernte er durch Praktika und Mitarbeiten bei kleinen Filmproduktionen, eine Ausbildung zum Mediengestalter sowie durch eigene Produktionen. Seine Filme realisierte er immer mit kleinem Budget. In seinem Studium im Fach Internationales Management mit Schwerpunkt Medienmanagement an der Universität Flensburg und seiner Abschlussarbeit über das Thema „Filmfinanzierung von unabhängigen Filmproduktionen am Beispiel der Jost Hering Filmproduktion“ konnte er einen umfassenden Einblick in die Arbeit des Produzenten gewinnen. Es folgten Aufenthalte in Costa Rica und Mexiko. In Mexico-City, auf dem Gelände der legendären Estudios Churubuscos, arbeitete Stiller beim Fernsehsender Canal 23. Die Mentalität, Kultur und die besondere Sprache des Landes ließen ihn nicht mehr los. Nach Mexiko zurückzukehren, um dort einen Langfilm zu realisieren, ist seitdem ein Lebenstraum.

Interview
 
 Wie waren die Drehbedingungen in Mexiko? Wurden Sie beobachtet, kontrolliert, bedroht?
 

Schon bei früheren Reisen nach Mexiko habe ich einige heikle Situationen überstanden, mit kleinkriminellen Banden und der Polizei. Sie haben mich zu großer Vorsicht veranlasst. Bei meiner Reise nach Ayotzinapa, wo die 43 Verschleppten studiert haben, stellte sich bei mir schon eine gewisse Nervosität ein. Ich bekam von der Bevölkerung gut gemeinte Ratschläge und Andeutungen, zum Beispiel, dass ich an bestimmten Orten vermutlich beklaut werden würde. Eine Woche nach meinem Dreh in Ayotzinapa traf ich in Mexiko-Stadt die Eltern der vermissten Studenten wieder, auf einer Demonstration. Dort habe ich, für jedermann sichtbar, auf der Bühne gedreht. Als ich danach Freunde auf einem Markt besucht habe, versuchte eine Frau hartnäckig und auf skurrile Weise, meine Telefonnummer zu bekommen. Schlussendlich gab ich sie ihr. An den darauffolgenden Tagen bekam ich mehrere Anrufe von einer anderen Person, die wissen wollte, wer ich sei und wo. Das mag ein Zufall gewesen sein – aber ein mulmiges Gefühl hatte ich.

Wenn Sie ein Making-of gedreht hätten, was wäre die Schlüsselszene?

Die Schlüsselszene eines Making-of wäre der Moment, in dem ich Ernesto entdeckt habe. Ich hatte die ersten Aufnahmen mit den Eltern gemacht, da lauschte ich beiläufig einem Gespräch einer Ermittlerin aus Sonora mit einem der Überlebenden: Ernesto. Mir imponierte, mit welcher flammenden Hingabe er von seinem Beruf sprach, wie er Menschen ermutigen will, eine kritische Haltung zu haben zu gesellschaftlichen Themen. Aus ihm sprach der Mut, für seine Überzeugungen einzutreten, auch wenn man damit gegen den Strom schwimmt. Für mich war es klar, dass er einen tragenden Part in dem Dokumentarfilm einnehmen sollte.

Was sind Ihre nächsten Projekte?

Der Film „Esperanza 43“ ist während einer Recherchereise für mein deutsch-mexikanisches Spielfilmprojekt „Das Leben hat noch Schulden“ entstanden. Die dabei gesammelten Erfahrungen lasse ich in dieses Filmprojekt einfließen, denn es steht im Zentrum meiner Arbeit. Teile der Geschichte sind autobiografisch. Auch die Erfahrungen in Ayotzinapa werden in der realistischen Handlung des Spielfilmprojektes spürbar sein, auch wenn sich der Film nicht ausschließlich mit Ayotzinapa befassen wird. Außerdem begleite ich als ein dokumentarisches Langzeitprojekt eine zapatistisch lebende Familie in Chiapas, die selbstversorgerisch im Urwald lebt. Ein Ziel von mir ist es dabei auch, den Kindern der Familie eine schulische Bildung möglich zu machen. In diesem Falle heißt das, einen Lehrer zu finden und bezahlen zu können. Meine Recherchearbeit, auch „Esperanza 43“, habe ich finanziert durch Arbeit auf See.

Daniel Tapia Montejo, Mexiko-Referent Ökumenisches Büro München

Biografie

© www.greens-efa.eu

© www.greens-efa.eu

Daniel Tapia Montejo wurde 1972 in Minas de Corrales, Uruguay, geboren. 1996 kam er nach Deutschland. Er studierte in Köln, wo er ab 1999 im Allgemeinen Studierendenausschuss der Universität zu Köln (AStA) als Internationalismus-Experte für Lateinamerika und Mexiko zuständig war. Nach mehreren gemeinsamen Projekten nahm Tapia Montejo im Mai 2004 seine Tätigkeit für das Ökumenische Büro in München auf, wo er unter anderem als Mexiko-Referent arbeitet. In diesem Zusammenhang setzt er sich für die Angehörigen der Familien der verschwundenen Studenten von Ayotzinapa ein. Darüber hinaus ist er in Kontakt mit der Interdisziplinären Gruppe Unabhängiger Experten (GIEI). Die GIEI wurde von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingesetzt, um die Untersuchung und Ermittlung sowie die Betreuung der Opfer und ihrer Angehörigen zu unterstützen.

Interview

Was ist das Außergewöhnliche am Fall Ayotzinapa?

Der Fall Ayotzinapa ist besonders wichtig, weil die Angehörigen und Kommilitonen der verschwundenen Studenten Flagge gezeigt haben und trotz ihres enormen Schmerzes den Mut haben, das Thema immer wieder in die Öffentlichkeit zu tragen und auf die Verantwortung der Regierung hinzuweisen. Außerdem ist es wichtig, dass durch den Fall Ayotzinapa die Dimension des Problems sichtbar wurde und ins öffentliche Bewusstsein rückte. Es werden selbst vom Staat mehr als 26.000 Fälle von Verschwundenen bestätigt! Wer denkt, dass Mexiko ein „failed state“ ist, irrt sich. Mexiko ist ein mafiöser und autoritärer Staat, der wegen seiner günstigen Bedingungen für ausländische Konzerne so gut wie keine Kritik anderer Regierungen bekommt. Eigentlich ist es unglaublich, dass etwa die deutsche Bundesregierung Mexiko nicht ein einziges Mal öffentlich zur Rechenschaft gezogen und gemahnt hat. Andererseits ist das nicht überraschend, wenn man ins Kalkül zieht, dass für sie die Interessen von Siemens, BMW, Audi und Co. ohnehin mehr Gewicht haben als der Schutz der Menschenrechte.

Welche Initiativen beschäftigen sich in Deutschland mit dem Thema Verschwindenlassen?

Die Plattform Gewaltsames Verschwindenlassen beschäftigt sich ausschließlich mit dem Thema, darauf sind viele Organisationen vertreten, u.a. Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V., Partner Südmexikos e.V., Allerweltshaus e:V., Amnesty International – Deutsche Sektion, Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, CAREA, Deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, Elisabeth-Käsemann-Stiftung und das Nürnberger Menschenrechtszentrum. Auch das ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights e.V.) beschäftigt sich mit der Problematik. Rainer Huhle, Gründungsmitglied des Nürnberger Menschenrechtszentrums, ist Mitglied im UN-Ausschuss gegen das gewaltsame Verschwindenlassen.

Warum ist gerade in Mexiko Verschwindenlassen ein großes Thema?

Das Thema ist in Mexiko nicht neu: Bereits seit den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts verschwinden Menschen im Rahmen des so genannten „Schmutzigen Krieges“. Neu ist, dass seit Anfang dieses Jahrhunderts auch ohne politische Gründe Menschen systematisch verschwinden. Die Täter gehören meist dem Organisierten Verbrechen an. Allerdings entlässt das den mexikanischen Staat in keiner Weise aus seiner Verantwortung, denn zum einen sind oft Staatsbedienstete an den Verbrechen beteiligt. Und zum anderen geht die fast vollständige Straflosigkeit in Fällen gewaltsamen Verschwindenlassens auf das Konto des Staates

Wie verändert die permanente Gewalt die Gesellschaft?

Schon die Gewalt allein ist ein großes Problem, aber die Straflosigkeit ein noch viel größeres. Die Täter fühlen sich unantastbar und die Opfer bekommen ein Gefühl absoluter Ohnmacht. All dies bildet einen Nährboden für Korruption und weitere Verbrechen, die die Gewalt mit sich bringt.

Kontakt:
 Ökumenisches Büro für Frieden und Gerechtigkeit e.V. • Pariser Straße 13 • 81667 München Tel. +49 (0)89 4485945 • www.oeku-buero.demex@oeku-buero.de